Die österreichische Bundesregierung hat für 17. November 2015 Vorschläge für eine Reform der Schulorganisation in Österreich angekündigt. Bei der Veranstaltung „Schule neu starten“ haben Partner und Gäste von „Neustart Schule“ dazu die folgenden Erwartungen formuliert.
Link: NEUSTART SCHULE Schule NEU denken
Zentrale Ziele einer Neuorganisation
- Schulorganisation ist nicht Selbstzweck, sondern hat zu gewährleisten, dass schulische Bildung in hoher Qualität für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von sozialem Status und Herkunft möglich wird. Nach internationalen Studien und Beispielen gelingt dies dort besonders gut, wo kompetente PädagogInnen in autonomen Schulen eigenverantwortlich an der Erfüllung vorgegebener Bildungsziele arbeiten.
- Statt Steuerung bis ins Detail ist deutlich mehr schulische Autonomie sinnvoll und erfolgsversprechend. Dazu gehört auch das Vertrauen in die PädagogInnen, diese Verantwortung gut wahrnehmen zu können. Autonome Schulen sind lebendige Organisationen, wo PädagogInnen und andere ExpertInnen gemeinsam mit den Eltern Verantwortung für die Bildungslaufbahn der SchülerInnen übernehmen.
Es braucht einen Paradigmenwechsel von der „Schulverwaltung“ zu einer modernen Organisation von Bildung. Dazu gehören unter anderem: klare Zuständigkeiten ohne Doppelgleisigkeiten, Effizienz und Transparenz der Mittelzuweisung, die Entpolitisierung der Schulorganisation.
Hohe Autonomie der Schulen
- Personal: Verantwortung der Schulleitung für die Auswahl und den Einsatz des Personals, für schulbezogene Weiterbildung und Personalentwicklung. Einbindung der Schulpartnerschaft in die Bestellung der Schulleitung.
- Finanzen: Freiräume beim Mitteleinsatz je nach Bedarf und Erfordernissen des jeweiligen Standorts, eigene Schulbudgets für Schulentwicklung, Weiterbildung, Lehrbeauftragte und Leistungsprämien.
- Pädagogik: Entwicklung eines Schulprofils und schulautonome Schwerpunktsetzungen, abgestimmt auf den Bedarf der jeweiligen SchülerInnenpopulation und unter Berücksichtigung eines bundesweit einheitlichen inhaltlichen Rahmens und Kompetenzniveaus.
- Support: Administratives Unterstützungspersonal und mittleres Management ab einer gewissen Schulgröße. Auf die Herausforderungen der Schulgemeinschaft vor Ort abgestimmte Ressourcen für non-formale Bildungsarbeit und Schulsozialarbeit.
- Organisation: Eigenverantwortliche Anordnung der Unterrichtszeit und Gestaltung des Tagesablaufs, Ganztagsschulen mit Unterscheidung von Unterrichts- und Öffnungszeiten, Öffnung der Schulen in Ferienzeiten.
- Qualität: Selbstevaluation und Qualitätsentwicklung verknüpft mit externer Qualitätskontrolle und Teilnahme an systemischen Outcome-Überprüfungen (Bildungsstandards).
Wirkungsorientierte Steuerung durch das Bildungsressort
- Rahmenbedingungen: Gesetzgebungskompetenz beim Bund und Entfall der Ausführungsgesetzgebung, neues und verschlanktes Schulgesetz, einheitliches Dienstrecht.
- Inhaltliche Steuerung: Definition von Bildungszielen und Festlegung der Lehrpläne in allen Schulstufen und -arten, Festlegung der Bildungsstandards und der zu erreichenden Kompetenzniveaus.
- Qualitätssicherung: Verbindlicher Qualitätsrahmen für alle Schulen sowie neue, weisungs¬unabhängige Qualitätssicherungsstelle für die externe Evaluierung der Schulen.
- Aus- und Weiterbildung: Verantwortung für die Ausbildung aller PädagogInnen, Qualifizierung für Führungsfunktionen im Schulwesen, Sicherstellung des Fort- und Weiterbildungsangebots.
- Finanzierung: Anhand einer formelbasierten (Pro-Kopf-)Finanzierung für die einzelnen Schulstandorte außerhalb des Finanzausgleichs. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Mittel für sozialindizierte Schwerpunkte.
Schlankes Unterstützungssystem für Bildungseinrichtungen
- Unterstützung: Wenn Schulen hohe Autonomie mit mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben und eine wirkungsvolle Steuerung durch den Bund existiert, ist der Bedarf an „Schulverwaltung“ gering. Die mittlere Ebene der Schulorganisation wird zu einer schlanken „Supporteinheit“, die nahe bei den Schulen arbeitet.
- Ansprechpartner: Diese mittlere Ebene ist zentraler Ansprechpartner für die Schulen und den Bund. Sie unterstützt die Schulen in Fragen der pädagogischen Entwicklung, des Personalmanagements und bei finanziellen Angelegenheiten wie der Ressourcenzuteilung und dem Controlling des Mitteleinsatzes.
- Schulträger: In Ländern wie Südtirol oder den Niederlanden haben sich solche Modelle bewährt: Jede Schule hat einen Schulträger, er kann und soll mehrere Schulen betreiben. Bund, Länder und Gemeinden, Gemeindeverbünde, Organisationen und Einzelpersonen können (einzeln oder in Zusammenarbeit) Schulträger sein. Schulträger öffentlicher Bildungseinrichtungen sind gemeinnützig und agieren nicht hoheitlich. Schulträger werden vom Bundesministerium nach zu definierenden Standards akkreditiert.
- Koordination: „Educational Boards“ unterstützen den Bund bei regionalen Standortkonzepten und Schwerpunktsetzungen sowie der Initiierung eines ausreichenden schulischen Angebots. Ihre Verantwortungsgebiete orientieren sich organisch (auch über Bezirks- und Landesgrenzen hinweg) an den Erfordernissen regionaler Bildungseinzugsgebiete.
Aufwertung der elementaren Bildung
- Bildung: Bildung beginnt bereits vor der Schule, deshalb müssen die elementaren Bildungseinrichtungen in das neue Bildungsmanagement integriert und mit hoher Autonomie ausgestattet werden.
- Bundeskompetenz: Elementarbildung wird Bundeskompetenz mit österreichweiten Zielen und Standards.
- Chancengerechtigkeit: Zweites verpflichtendes Kindergartenjahr als altersgerechter Bildungseinstieg für alle Kinder.
- Qualität: Bundesrahmengesetz für Qualität und Rahmenbedingungen in Krippen, Kindergärten und Horten auf höchstem Niveau.
- Finanzierung: Wie bei den Schulen erfolgt die Finanzierung direkt an den Bildungsträger.
- Ausbildung: Anhebung der Ausbildungsqualität im elementarpädagogischen Berufsfeld: bundesweit einheitliche Ausbildungen, eine BAKIP-Neu als BHS, schrittweise Akademisierung für gruppenführende und leitende Funktionen.
Die Bildungsreform beginnt
Mit dem 17. November ist die Bildungsreform nicht zu Ende, im Gegenteil, sie beginnt erst richtig. Deshalb sollen dort auch die nächsten wichtigen Reformschritte zu zentralen Fragen des Bildungswesens eingeleitet werden:
- Welche Bildungsziele braucht Österreich, seine Gesellschaft und Wirtschaft?
- Welche Inhalte, welche Strategien und welche Systeme brauchen wir, um diese Ziele zu erreichen?
- Wie steigern wir die Qualität der Pflichtschule?
- Wie beseitigen wir kontraproduktive Brüche und soziale Selektion?
- Wie stärken wir die Chancengerechtigkeit für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von Herkunft und sozialem Umfeld?
- Wie strukturieren wir zeitgemäße und kinderorientierte Bildungslaufbahnen (u.a.: Fokus auf die Stärken der Kinder, fließende Übergänge, Verhinderung von Schulabbrüchen, Bildungspflicht statt Unterrichtspflicht, Reform der neunten Schulstufe)?
- Welche PädagogInnen brauchen wir und welche Aus-, Fort- und Weiterbildung brauchen sie?
- Wie stellen sich Arbeitszeitmodelle und ein neues Dienstrecht dar?
Für diese „Bildungsrevolution“ braucht es einen parteiübergreifenden Prozess mit Beteiligung der Betroffenen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Ein solcher Prozess soll noch in dieser Legislaturperiode die Weichen für eine Neukonzeption stellen. Wir schlagen vor, dass die Regierungspartner und die Bundesministerin zu einem solchen „Bildungssummit“ einladen.
Erwartungen: Bewegung in die Bildungspolitik
Hannes Androsch, Volksbegehren Bildungsinitiative, Initiator,
Michael Chalupka, Diakonie Österreich, Direktor
Karl Dwulit, Jedes K!nd, Vorstandsmitglied
Erwin Greiner, Bildung Grenzenlos, stv. Vorsitzender
Georg Kapsch, Industriellenvereinigung, Präsident
Othmar Karas, Hilfswerk Österreich, Präsident
Raphaela Keller, ÖDKH, Vorsitzende
Christa Koenne, Universität Wien
Veronika Kotzab, Wissensfabrik – Unternehmen für Österreich, Geschäftsführerin
Georg Kraft-Kinz, Verein Wirtschaft für Integration, Obmann
Michael Landertshammer, Wirtschaftskammer Österreich, Leitung Abt. Bildungspolitik
Heidemarie Lex-Nalis, Plattform EduCare, Sprecherin
Anja Linhart, Wiener Kindertheater, Projektleitung
Elisabeth Menasse-Wiesbauer, ZOOM Kindermuseum, Direktorin
Christian Morawek, Österr. Verband d. Elternvereine öffentl. Pflichtschulen, Vorsitzender
Therese Niss, Junge Industrie, Vorsitzende
Martina Piok, COOL – cooperatives offenes lernen, Koordination LehrerInneninitiative
Christina Planitzer, Teach for Austria, Vorstand TFA Alumniverein
Josef Pumberger, Katholische Aktion Österreich, Generalsekretär
Gerald Schöpfer, Österreichisches Rotes Kreuz, Präsident
Christiane Spiel, Universität Wien, Institut für Angewandte Psychologie: Arbeit, Bildung, Wirtschaft
Johanna Tradinik, Bundesjugendvertretung, Vorsitzende
Irene Varga, Köck Stiftung, Projektleitung „Initiative Neues Lernen“
Bernd Wachter, Caritas Österreich, Generalsekretär
Presseunterlagen: